Qualitätssprung durch Shopfloor Management

May 2, 2011 | News Germany

„Der beste Sitzhersteller aus Sicht seiner Kunden“ – diesen Anspruch hat Recaro Aircraft Seating bereits 2006 in einem Leitbild formuliert. Ein wesentlicher Baustein auf dem Weg dorthin war die Einführung von Lean Management: Produktivität und Termintreue konnten durch die implementierten Maßnahmen schnell gesteigert werden. Den Turboboost für die Qualität startete das Unternehmen dann Mitte 2009 mit Einführung der Managementphilosophie „Shopfloor Management“. Das Ergebnis heute: Verbesserungen von bis zu 60 Prozent in nur neun Monaten. Shopfloor Manangement rückt, wie der Name schon sagt, den Shopfloor, zu Deutsch die Produktionsstätte, in den Mittelpunkt. Alle betrieblichen Tätigkeiten von der Entwicklung bis hin zur Qualitätssicherung werden so ausgerichtet, dass die Produktion als eigentlicher Ort der Wertschöpfung möglichst effizient, flexibel und störungsfrei gestaltet werden kann. Nach Einführung von „handwerklichen“ Lean-Methoden wie zum Beispiel Kaizen oder Kanban steht hier vor allem die Führungsarbeit im Fokus – Top-Management bis Teamleiter in der Produktion sind gefordert. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben sie sich in der Regel von der Werkbank weg in Richtung Schreibtisch bewegt – das Shopfloor Management kehrt diese Entwicklung um und holt die Führungskräfte zurück an den Ort des Geschehens. Zentrale Elemente dieses Ansatzes sind tägliche gemeinsame Kurzbesprechungen und das so genannte „Shopfloor-Board“. Das Shopfloor-Board: Alle Informationen auf einen Blick
Das prominente Shopfloor-Board befindet sich bei Recaro Aircraft Seating in Form einer Magnetwand direkt im Eingangsbereich der Produktion. Dort finden sich einfach und prägnant aufbereitet alle wichtigen Informationen zu Arbeitssicherheit, Mitarbeiterbelegung, Qualität und Ausbringung auf einen Blick. Das Motto dabei: Folienstift statt Power Point oder SAP.  Die Bereitstellung dieser Informationen obliegt den Linienverantwortlichen jeweils für ihre Montagelinie. „Sie erfassen zunächst immer die Arbeitssicherheit inklusive ergriffener Maßnahmen und notieren dann ihre Ist-Zahlen zu den Mitarbeitern in der Schicht“, erklärt Manfred Haußer, Montageleiter bei Recaro Aircraft Seating. „Die Ausbringung wird dreimal pro Schicht festgehalten.“ Zudem wird in einem Trenddiagramm der aktuelle Stand der Qualität eingetragen. „Hier messen wir in Defects per Unit (DPU), erfasst wird dies täglich sowie im Monatsverlauf“, so Haußer. Jedes Band hat dabei eine eigene Vorgabe, je nachdem, wie komplex das Sitzmodell ist, das dort gefertigt wird. Den DPU-Sollwert markiert ein roter Balken in einem Diagramm, der aktuelle Wert wird mit den vorhergehenden zu einer Verlaufskurve verbunden. Unterhalb des Soll-Werts ist diese grün, oberhalb rot gezeichnet, darüber hinaus markiert eine rote oder grüne Karte neben dem Diagramm den Tagesstand, so dass man diesen bereits von Weitem erkennen kann. Denn wie alle Kennzahlendiagramme auf dem Shopfloor-Board folgt auch dieses dem Prinzip der „Ampelfunktion“. Sind also beispielsweise verglichen zum Soll-Wert zu wenig Mitarbeiter am Band, setzt der Linienverantwortliche einen roten Magneten neben die Zahlen. Gleiches geschieht bei der Ausbringung. Das Prinzip ermöglicht das so genannte „Drei-Minuten-Management“: Die Führungskräfte müssen sich nicht durch unzählige E-Mails und Notizen kämpfen oder Präsentationen durcharbeiten. Am Shopfloor-Board erhalten sie auf den ersten Blick eine Übersicht über den Status quo und können gezielt an den roten Bereichen ansetzen. Zudem finden sie neben den tagesaktuellen Informationen Kennzahlauswertungen des aktuellen Monats und Jahres. Probleme und Lösungsansätze festhalten
Darüber hinaus gibt das Shopfloor-Board aber auch schnell und einfach Auskunft über die Art der aufgetretenen Probleme. „Die Linienverantwortlichen halten nicht nur fest, ob sie zu viel oder zu wenig produziert haben, sie geben auch die jeweiligen Gründe dafür an“, erläutert Haußer. Das Problem wird zum einen direkt hinter der aktuellen Zahl notiert und im Detail auf dem gesonderten Blatt „Probleme – Sofortmaßnahmen“ erfasst. Hier wird auch notiert, wie weit der Problemlösungsprozess fortgeschritten ist. „Besteht das Problem nicht mehr, kommt hinten der sprichwörtliche Haken dran“, so Haußer. „Des Weiteren ist es extrem wichtig, dass auf dem Shopfloor-Board nicht nur steht, dass eine Montagelinie ihr Soll nicht erfüllt hat, sondern auch die Gründe angegeben werden. Die Mitarbeiter müssen verstehen, dass es hier nicht um Bloß-, sondern um Hilfestellung geht.“ Denn das Ziel ist ein positiver Problemlösungsprozess, der nicht mit „Wer hat Schuld?“ sondern mit „Warum ist das passiert?“ startet. Tägliche Frühbesprechung inklusive Top-Management
Außerdem gibt es am Shopfloor-Board jeden Morgen um 7.45 Uhr eine gemeinsame Frühbesprechung. An ihr nehmen Joachim Ley, Director of Manufacturing, die acht Linienverantwortlichen, die beiden Meister, Montageleiter Haußer sowie alle relevanten unterstützenden Abteilungen, wie zum Beispiel Qualität, Einkauf und Logistik, teil. Zudem haben sich die Bereichsleiter dieser Abteilungen bis hin zur Geschäftsführung verpflichtet, einmal pro Woche dabei zu sein. So behalten sie nicht nur den Kontakt zur Produktion und zu ihren Mitarbeitern, sondern sind wöchentlich auf dem aktuellen Stand und erfahren potenzielle Probleme aus erster Hand. Kontrolliert wird ihre Teilnahme per Ampelfunktion: Für jedes Mitglied dieses Kreises wird am Shopfloor-Board eine Karte mit Namen befestigt, deren Vorderseite rot und Rückseite grün markiert ist. Am Ende jeder Kalenderwoche werden sie auf rot gesetzt – nimmt die jeweilige Person an der Frühbesprechung teil, dreht er seine Karte auf grün. In der Frühbesprechung berichtet jeder Linienverantwortliche anhand der Informationen auf dem Shopfloor-Board zu seinem Montageband, beginnend mit der Sicherheit am Arbeitsplatz. Anschließend geht es um Mitarbeiterbelegung und Ausbringung. Vor allem aber erörtert er Probleme, die an seinem Band aufgetreten sind und dazu geführt haben könnten, dass das Soll nicht erfüllt wurde. Dabei gibt er auch im Detail Aufschluss darüber, welche Lösungsmaßnahmen er getroffen und welchen Status der Lösungsfortschritt hat. „Im Prinzip ist zwar alles, was in unserem Informationscenter festgehalten ist, an sich selbsterklärend und auf den ersten Blick ersichtlich“, so Joachim Ley. „Mit der Frühbesprechung schaffen wir aber etwas, was in unserem Unternehmen früher durchaus mit Schwierigkeiten verbunden war: alle Parteien gleichzeitig an einen Tisch zu bekommen. So haben wir die Möglichkeit, die Probleme, die in der Produktion auftauchen, auf direktem Weg im persönlichen Gespräch mit der Führungsmannschaft zu ergründen – und gemeinsam Lösungen zu finden.“ Gut sei auch, dass die Frühbesprechung kurz und knackig am Stehtisch erfolge: „Morgens in einem Besprechungszimmer bei Kaffee in bequemen Stühlen zusammenzusitzen, fördert nicht gerade die Produktivität von Besprechungen.“ Qualitätszirkel und „Top-X“-Probleme
Der Problemlösung wird im Zuge des Shopfloor Managements besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Aus der Frühbesprechung heraus definiert der Montageleiter gemeinsam mit dem Leiter der Qualitätssicherung in der Montage die „Top-X“-Probleme der Woche. Diese werden dann auf ein gesondertes Blatt am Shopfloor-Board übertragen. Den täglichen Qualitätszirkel von 10 bis 10.15 Uhr vor dem Shopfloor-Board moderiert der Leiter der Qualitätssicherung. Darin berichten seine Mitarbeiter gemeinsam mit den Linienverantwortlichen aus der Produktion zu allen aufgetretenen Problemen, den ergriffenen Maßnahmen und dem Status des Lösungsprozesses. „Die Top-X sind dabei unsere negativen ‚Highlights’ der Woche“, erklärt Haußer. „Das sind die Punkte, bei denen die Montage die Unterstützung der anderen Bereiche braucht. Im Problemlösungsprozess sind dann auch verschiedene Abteilungen zuständig. Erst kümmert sich beispielsweise die Qualitätssicherung, und gleichzeitig oder anschließend ist das Engineering gefragt.“ Einmal pro Woche nehmen daher alle Bereichsleiter und die Geschäftsführung am Qualitätszirkel teil. Anschließend informiert Haußer im so genannten Qualitätsregelkreis, der ohne Linienverantwortliche, Meister und Qualitätsmitarbeiter stattfindet, explizit zu seinen „Top-X“-Problemen. „Hier sitzen – beziehungsweise stehen – dann wieder alle Parteien an einem Tisch und berichten über ihre jeweiligen Fortschritte“, so Haußer. Alle Probleme werden hier noch einmal gesondert am Shopfloor-Board festgehalten, inklusive der Status und Fortschritte. Die psychologische Wirkung ist enorm: Die Mitarbeiter in der Produktion sehen, dass sie nicht allein gelassen werden und sich die Führungskräfte genauso einsetzen wie sie selbst. Möchte einer der Bereichsleiter die Informationen zudem mit in seine interne Besprechung nehmen, kann er das Blatt einfach kurz vom Board nehmen und kopieren. Befähigen statt belehren
Um die nötige Unternehmenskultur, die das Shopfloor Management fordert, aufzubauen, müssen Management und Mitarbeiter an einem Strang ziehen. Die Führungsmannschaft hat dabei die Aufgabe, mit gutem Beispiel voranzugehen, Mauern zwischen den Bereichen einzureißen und Hand in Hand zu arbeiten. Darüber hinaus befähigen sie als Coaches ihre Mitarbeiter, Probleme soweit als möglich eigenständig zu lösen. Gemäß dem Motto „Go and See“ passiert auch das vor Ort in der Montage. Ausgangspunkt ist das Shopfloor-Board. Von dort aus bewegt sich die Führungskraft an die Stelle, wo die Probleme auftreten, macht sich selbst ein Bild und unterstützt die Mannschaft bei der Lösung. Denn es ist nicht mehr Ziel, die Lösung gleich vorzugeben, sondern das Handwerkszeug zur Problemlösung zu vermitteln. Wichtig ist aber vor allem eines: Vertrauen zu schaffen. „Die Mitarbeiter empfinden Shopfloor Management und die ständige Sichtbarkeit ihrer Fehler schnell als Kontrolle, die ihnen persönlich schaden könnte“, so Ley. „Sie müssen verstehen, dass das nicht der Fall ist und ihnen stattdessen Hilfestellung gegeben wird.“ Nur so ließe sich garantieren, dass die Linienverantwortlichen auch tatsächlich alle Probleme notieren und ehrlich die Gründe angeben, die dazu geführt haben. „Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass zum Beispiel die Qualität nicht stimmt, weil die Mitarbeiter am Band falsch eingewiesen wurden, sollte der Linienverantwortliche genug Vertrauen haben, das zugeben zu können und zu wissen, dass ihm das nicht angelastet wird“, ergänzt Haußer. Bei Recaro Aircraft Seating hat sich dieser Kulturwandel weitgehend vollzogen. „Natürlich gibt es noch Punkte, an denen wir arbeiten müssen – konkret wäre das zum Beispiel unser großer Problemlösungsprozess mittels der „A3“-Methode, welcher recht komplex ist. Aber wir sind auf einem sehr guten Weg – die Qualitätssteigerung von 60 Prozent in nur neun Monaten mit Shopfloor Management belegt das deutlich. Inzwischen konnten wir unser Qualitätsziel auf 0,1 Defects per Unit senken.“ Und auch die Kunden von Recaro Aircraft Seating bemerken den Fortschritt auf hohem Niveau: So hat der Sitzhersteller aus Schwäbisch Hall die Auszeichnungen „Just-in-Sequence-Lieferant“ von Airbus und „Gold Status-Lieferant“ von Boeing erhalten. Auch die Staufen AG, die die Einführung und Umsetzung von Shopfloor Management bei Recaro Aircraft Seating begleitet hat, beurteilt das Unternehmen als einen ihrer Vorzeigekunden. Gemeinsam öffnen die Kooperationspartner daher 2011 die Pforten für Lernwillige, die eine Best Practice im „Shopfloor Management live“ erleben möchten. Zudem berichtet Dr. Mark Hiller, Geschäftsführer von Recaro Aircraft Seating am 7. Juni 2011 auf dem „BestPractice Day“ in Darmstadt, dem Lean-Kongress der Staufen AG, von seinen Projekterfahrungen. Stichwort „Shopfloor Management“:
„Der Begriff ,Shopfloor Management‘ steht für ein verbessertes Management auf dem Weg zu einer lernenden Organisation und erstreckt sich auf alle Unternehmensbereiche. Shopfloor Management bietet Methoden zur Implementierung einer Kultur an, die auf die Optimierung der Interaktion zwischen Führungskräften und Mitarbeitern abzielt – und leistet dadurch mehr als „herkömmliches“ Management. Vor allem aber wird der Mitarbeiter beim Problemlösungs- und Verbesserungsprozess unterstützt. Gemeinsame Gespräche genau an dem Ort, an dem das Problem aufgetreten ist, sind geprägt durch den Wechsel zwischen offenen Fragen des Vorgesetzten und Antworten des Mitarbeiters, die seine Problemlösungskompetenz erkennen lassen. Dieser Dialog stellt hohe Anforderungen an den Manager: Er darf dabei nicht zum ,Micromanager‘ werden, der sich nur um die kleinen Probleme der einzelnen kümmert. Ziel der Führungskraft ist es vielmehr, den Mitarbeiter zu befähigen, das Problem selbst zu lösen. Dafür schlüpfen Manager in die Rolle eines engagierten Lehrers und müssen dazu Interesse an Didaktik zeigen und sich ein ausgeprägtes gesundes Urteilsvermögen aneignen. Sie müssen genau differenzieren können, welche Hilfestellung der Mitarbeiter tatsächlich braucht, ihn nicht bevormunden und erreichen, als Coach geschätzt zu werden. Eine transparente Visualisierung der Kennzahlen und des Erfüllungsgrades der Maßnahmen soll zudem helfen, die Führungsleistung zu verbessern. Diese wird regelmäßig mit Hilfe des Infocenters vor Ort erbracht. Hier spielen Verständlichkeit und Handhabbarkeit eine wichtige Rolle. Der Mitarbeiter muss die Visualisierung mit geringem Aufwand aktuell halten und die Führungskraft auf den ersten Blick Handlungsbedarf erkennen können. Wird dies erfüllt, kann man mit Shopfloor Management sehr viel erreichen und einen großen Schritt in Richtung einer Lean Enterprise machen. Recaro Aircraft Seating ist dafür ein gutes Beispiel.“ Dr. Mark Hiller, Geschäftsführer & Chief Operations Officer von Recaro Aircraft Seating 

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